Eiichirô Hirata

Noh als Theater der Differenz

Freitag, 11.6., 10-12 Uhr, Zoom

In vielen Stücken des Noh-Theaters, das im vierzehnten Jahrhundert entstand und dessen Darstellungsstile sich ca. im siebzehnten Jahrhundert etablierten, sehen die Figuren und Darstellungsweisen für heutige Betrachter*innen oft ähnlich aus. Sie scheinen ausschließlich in den beliebten Differenzen ihre kleineren Eigenheiten zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich aber sind sie nicht ganz ähnlich, sondern zwischen den Figuren gibt es oft eine soziale und politische Kluft, die sie voneinander trennt. Sie sehen nur differenziert ähnlich aus, weil ihre Existenz auf einer zufälligen Gesellschaftsstruktur basiert und sie die Grundlosigkeit dieser Existenz gemeinsam haben. In der Tat eröffnet sich zwischen den ähnlich aussehenden Figuren die Distanz z.B. zwischen einem Lebenden und einem Toten, zwischen den Adligen und den sozial Vernachlässigten usw.
Wenn man sich in Noh-Aufführungen die spezifische Konstellation der ähnlich aber ganz unterschiedlichen Differenzen näher ansieht, bemerkt man, dass diese andeutungsweise das Zuschauen selber in Frage stellen und den Zuschauer*innen eine andersartige Betrachtungsweise anbieten. Anhand einiger Beispiele untersucht der Vortrag die Frage, inwiefern dieses andersartige Sehen einen Sinn ergibt.

Eiichirô Hirata ist seit 2012 Professor für Theaterwissenschaft am Institut für Germanistik der Keio-Universität Tokio. Er studierte Germanistik und Theaterwissenschaft an derselben Universität und an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte über Abwesenheit und Präsenz im Gegenwartstheater. Publikationen u.a.: „Theater in Japan“ (Hg., Berlin 2009); „Dramaturgen“ (japanisch, Tokio 2010); „Theater der Prä- und Absenz“ (japanisch, Tokio 2016). Zahlreiche weitere Publikationen und Kritiken über das deutsche Theater (Frank Castorf, Christoph Marthaler, Einar Schleef) und das japanische Theater (Ku Nauka, Rinkogun, The Bird Theatre).